Klimaschutz gegen Artenschutz?
Große Pläne: Wilhelmshaven soll im Zuge der sogenannten Energiewende zur Drehscheibe für die deutsche Wasserstoffwirtschaft werden. Die Firma TES (Tree Energy Solutions) möchte im Voslapper Groden Nord ein Umschlagterminal für den Import von Wasserstoff sowie diverse Anlagen zur Umwandlung und Verarbeitung errichten. Im September 2021 beschloss der Rat die Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplanes (Nr. 225) verbunden mit der Änderung des Flächennutzungsplanes für diesen Bereich.
Vom 18.01. bis 01.02.2022 fand die frühzeitige öffentliche Beteiligung gem. § 3 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) zum Bebauungsplan Nr. 225 "Voslapper Groden Nord / Nördlich Tanklager" statt. Die Unterlagen über die Ziele und Zwecke der Planung zum „Energiepark Wilhelmshaven“ und der Vorentwurf zum Bebauungsplan konnten in diesem Zeitraum eingesehen werden. Als Träger öffentlicher Belange (TÖB) hat der BUND eine Stellungnahme dazu abgegeben, hier nachzulesen.
Nun wird die Bauleitplanung dazu konkretisiert. Der Rat der Stadt hat am 20.09.2023 erneut die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 225 -Voslapper Groden-Nord / Nördlich Tanklager– und diesen als Entwurf beschlossen, gleichzeitig auch den Entwurf für die entsprechende Änderung des Flächennutzungsplans.
Die Unterlagen dazu können vom 2.10. bis zum 15.11.2023 öffenlich eingesehen werden und innerhalb dieser Frist Stellungnahmen dazu bei der Stadt eingereicht werden. Das gilt nicht nur für Behörden und anerkannte Naturschutzverbände: alle, die sich von den Planungen betroffen fühlen, können ihre Bedenken vorbringen. Die Planungsunterlagen und weitere Infos dazu findet Ihr hier.
Als Natur- und Umweltverband haben wir viele Fragen dazu, zum Beispiel:
- Der Voslapper Groden Nord ist EU-Vogelschutzgebiet und Naturschutzgebiet. Gibt es keine alternativen Standorte im Stadtgebiet oder andernorts in der Küstenregion, wo sich dieses Vorhaben verwirklichen ließe? Wurden Alternativen ausreichend geprüft?
- Besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an diesem Vorhaben gegenüber dem öffentlichen Interesse am Arten- und Lebensraumschutz?
- Trägt das Vorhaben tatsächlich zur Erreichung der (globalen) Klimaziele bei? Wo genau wird der Wasserstoff produziert, welche Umweltauswirkungen hat das an den Produktionsstandorten im "Sonnengürtel", welche Lebensräume werden dort für riesige Photovoltaik-Anlagen beansprucht, welche Auswirkungen hat das dort auf Natur und Menschen? Wie Energie-effizient sind die Umwandlungs- und Transportvorgänge? (Der Wasserstoff wird zum Schiffs-Transport unter Zugabe von CO2 in CH4 - Methan - umgewandelt und dieses am Zielort wieder aufgespalten, das CO2 wird dann per Schiff ins Produktionsland zurückgebracht und fließt dort wieder in den Prozess ein).
- Im Falle einer Genehmigung und Verwirklichung des Vorhabens müssen sogenannte Kohärenzflächen geschaffen werden, um die Zerstörung des Vogelschutzgebietes auszugleichen. Im Gespräch sind Flächen am Reepsholter Tief. Stehen ausreichend Flächen dafür zur Verfügung? Werden diese vor Baubeginn entsprechend hergerichtet sein, so dass die betroffenen Arten dorthin ausweichen können?
Hier kommt viel Arbeit auf uns zu. Denn was nützt es bedrohten Tier- und Pflanzenarten, wenn es vielleicht gelingt, den menschengemachten Klimawandel zu bremsen, aber ihre Lebensräume dadurch unwiederbringlich zerstört werden?
Naturschutzgebiet Voslapper Groden
In den 1970er Jahren wurden an der Ostküste Wilhelmshavens riesige Watt- und Salzwiesenflächen eingedeicht und mit Sand aufgespült, der beim Ausbaggern des Jadefahrwassers gewonnen wurde. Diese Landgewinnung erfolgte in der Erwartung, dort in großem Maßstab Industrie anzusiedeln. Bis auf ein PVC-Werk und eine Raffinerie (heute nur noch Tanklager) gab es jedoch keine weiteren Investitionen. Den größeren, brach liegenden Teil holte sich die Natur zurück. Aufgrund der kleinräumig unterschiedlichen Bodenverhältnisse entwickelte sich eine Vielfalt natürlicher Standorte. In feuchteren, schlickigen Teilen des ursprünglichen Meeresbodens wuchsen anfangs noch Salzwiesenpflanzen. Heute ist der Voslapper Groden geprägt durch großflächige Schilfröhrichte, sumpfige Bereiche, offene Kleingewässer und Gebüschgesellschaften (überwiegend aus Weiden), Dünengebiete, Trockenrasenbereiche und an den Rändern Frisch- und Feuchtgrünland. Bemerkenswert sind unter anderem ausgedehnte Orchideenbestände.
Im Westen ist der Voslapper Groden durch den alten Seedeich abgeschirmt, im Osten durch die umzäunte Pipeline, die vom (ehemaligen) Chlorgaswerk im Rüstersieler Groden bis zum PVC-Werk im Norden des Voslapper Grodens führt. Deshalb wurde der Groden kaum von Menschen betreten - ideale Voraussetzung für die Ansiedlung scheuer Vogelarten.
Im Jahr 2000 entdeckten Ornithologen dort zahlreiche schützenswerte Vogelarten, darunter sechs, die gemäß der Europäischen Vogelschutzrichtlinie bedroht und streng geschützt sind: Rohrdommel (Botaurus stellaris), Tüpfelsumpfhuhn (Porzana porzana), Blaukehlchen (Luscinia svecica), Rohrschwirl (Locustella luscinioides), Schilfrohrsänger (Acrocephalus schoenobaenus) sowie Wasserralle (Rallus aquaticus).
Die EU-Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, diese sogenannten wertbestimmenden Vogelarten und ihre Lebensräume zu erhalten. Unter anderem müssen Europäische Vogelschutzgebiete nach nationalem Recht (in diesem Fall durch Ausweisung als Naturschutzgebiet) geschützt werden.
Die Stadt (als Untere Naturschutzbehörde) und das Land Niedersachsen machten allerdings zunächst keine Anstalten, dieser Verpflichtung nachzukommen. Mit Unterstützung unseres Landesverbandes konnten wir jedoch Bewegung in die Sache bringen. 2006 wurde der Voslapper Groden Süd unter Naturschutz gestellt, 2007 der nördliche Teil.
Hier gibt es weitere Informationen (Verordnungstext, Karten, Steckbrief):
Schweinealarm im Voslapper Groden
Aktuell ist das Naturschutzgebiet Voslapper Groden durch die Ansiedlung von Wildschweinen gefährdet. Erstmals wurde das Schwarzwild 2016 dort gesichtet. Es gibt zahlreiche Hinweise, dass die Schweine nicht eigenständig in den Groden gewandert sind, sondern dort ausgesetzt wurden.
Wildschweine vermehren sich freudig. Sie sind Allesfresser und stellen deshalb für die Vogel- und Pflanzenwelt des Voslapper Grodens eine große Gefahr dar. Auf der Suche nach Wurzeln und Knollen pflügen sie großflächig den Boden um und ihr Appetit macht vor Eiern und Jungvögeln nicht halt.
Der Jagdpächter ist angewiesen, die Wildschweine durch Bejagung wieder aus dem Schutzgebiet zu entfernen. Da er dem bislang nicht nachgekommen ist, möchte die Stadt diese Aufgabe an Berufsjäger übergeben. Derzeit (Stand: Oktober 2019) ist dazu ein Rechtsstreit zwischen der Stadt und dem Jagdpächter anhängig.
Die Abschuss-Anordnung stößt in Teilen der Bevölkerung auf heftige Kritik, da sie Mitleid mit den Schweinen haben und diese auch als Teil der Natur betrachten. Auf der einen Seite stehen stark gefährdete Vögel wie die Rohrdommel, von der es nur noch wenige in ganz Niedersachsen gibt, der Bestand ist von der Auslöschung bedroht, ihretwegen (zuzüglich weiterer 5 gefährdeter Vogelarten) steht der Voslapper Groden unter strengem Schutz. Auf der anderen Seite steht ein jagdbares Wild, dessen Bestand sich deutschlandweit stark vermehrt. Im Rahmen der ordnungsgemäßen Jagdausübung werden in Deutschland mehr als eine halbe Million Wildschweine pro Jahr geschossen, bei einem Gesamtbestand von bis zu 1,5 Mio.